Einführung

In Arbeits- und Lernumgebungen ist die Zusammenarbeit an gemeinsamen Dokumenten, synchron und asynchron, üblich und sogar notwendig. Die unterstützenden Werkzeuge basieren derzeit auf Webanwendungen wie GoogleDocs, Microsoft Word oder Overleaf. Diese Tools bieten spezielle Funktionen, um die gemeinsame Bearbeitung von Dokumenten effektiv und effizient zu gestalten, aber nicht für alle Benutzendengruppen. Es gibt bereits Studien, die solche Tools technisch auf ihre Zugänglichkeit hin untersuchen, aber nur wenige Studien untersuchen den Prozess der kollaborativen Arbeit an Dokumenten durch Menschen mit und ohne Behinderungen, also die realen Herausforderungen und etablierten Praktiken. Dies erfordert eine sozio-technische Perspektive, um die Auswirkungen auf alle Beteiligten zu berücksichtigen und nachhaltige Lösungen für eine barrierefreie Zusammenarbeit zu schaffen. Ziel dieses Workshops ist es, diese Perspektive aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, zu diskutieren und neue Impulse für zukünftige Entwicklungen in diesem Bereich zu geben.

Die Zusammenarbeit mehrerer Personen, synchron oder asynchron, an gemeinsamen Dokumenten ist ein hochkomplexer Prozess. Insbesondere in Arbeits- und Lernkontexten wird dieser Prozess häufig praktiziert. Nahezu alle derzeit verfügbaren Werkzeuge basieren auf Webanwendungen oder zumindest auf Online-Funktionalität im Kontext von Zusammenführen von Änderungen. Bekannte Texteditoren im Arbeits- und Lernumfeld für die kollaborative Arbeit an Dokumenten sind GoogleDocs / GoogleDrive und Microsoft Word / OneDrive sowie Overleaf / LaTeX. Diese und ähnliche Tools verfügen in der Regel über die folgenden relevanten Funktionen: Einladen von Nutzenden/Freigeben von Dokumenten, Anzeige von gleichzeitig arbeitenden Co-Autorinnen und -Autoren (sowie Anzeige, wo die Bearbeitung gerade stattfindet), Änderungsverfolgung und Kommentarfunktionen zur Diskussion von bestimmten Textabschnitten [3]. Lee et al. [2] haben mit Unterstützung eines blinden Koautors und einer Nutzerstudie mit 11 blinden Teilnehmenden detaillierte Herausforderungen für Blinde und Schwächen bestehender Texteditoren identifiziert und ein Werkzeug entwickelt, das kollaboratives, synchrones und asynchrones Arbeiten an Dokumenten für Blinde unterstützt. Vergleichbare Studien zu bestehenden Werkzeugen wurden u. a. von Mori et al. [3] und Schoeberlein und Wang [6] durchgeführt. Es gibt derzeit wenige bis keine Studien darüber, wie der Prozess der gemeinsamen Arbeit von Menschen mit und ohne Behinderungen an Dokumenten in der Praxis funktioniert, welche Herausforderungen in diesem realen Umfeld auftreten und welche Praktiken und Workarounds sich in realen Kontexten bereits herausgebildet haben. Neben der klassischen Barrierefreiheit von Texteditoren (z. B. nach WCAG-Richtlinien) muss auch die Usability im gewohnten (Arbeits-)System berücksichtigt werden, sowie Barrieren und Anforderungen, die über die etablierten Richtlinien hinausgehen [1]. Hier ist ein soziotechnischer Ansatz geboten [4, 5], um die Auswirkungen auf alle am gemeinsamen Schreibprozess beteiligten Personengruppen zu berücksichtigen, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen und so langfristig tragfähige Lösungen für eine fruchtbare und barrierefreie Zusammenarbeit zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen zu etablieren. Vor dem Hintergrund des im letzten Jahr veröffentlichten zweiten Staatenberichts [7], in dem Deutschland Verbesserungsbedarf aufgezeigt wurde, liefert dieser Workshop wichtige Erkenntnisse darüber, wie Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten in Arbeits- und Lernkontexten effektiv zusammenarbeiten können, um damit die Chancen für mehr gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu erhöhen.

Wir laden interessierte Forschende, Anwendende sowie direkt und indirekt vom Thema Betroffene und andere Interessierte ein, ihre Erfahrungen, Studienergebnisse oder andere Erkenntnisse in Form eines kurzen Positionspapiers einzubringen, die wir dann gemeinsam mit allen Teilnehmenden diskutieren, um Maßgaben zukünftiger Lösungsansätze zu erarbeiten.

Wenn Sie spezielle Tools oder Unterstützung für die Teilnahme benötigen, wenden Sie sich bitte an die Organisatoren des Workshops.

 Themen

Bereiche, die mit einem Positionspapier im Zusammenhang mit “Collaborative Editing” angesprochen werden könnten (nicht erschöpfende Liste):

  • Empowerment von Unternehmen, Mitarbeitenden und Menschen mit Behinderungen
  • Sensibilisierung und Motivation für das Thema Barrierefreiheit
  • Schaffung und Erhaltung von barrierefreien Arbeitsumgebungen
  • Barrierefreiheitsstrategie als Teil der Digitalisierungsstrategie
  • Gleichberechtigte Berücksichtigung von Usability und Barrierefreiheit
  • Implementierung von Prozessen und Methoden in die Praxis
  • Transfer von Know-how, Lehr- und Lernformaten
  • Inklusive Unternehmensführung
  • Sozioinformatische Perspektive, Betrachtung der Mikro-, Meso- und Makro Ebene
  • Nachhaltigkeit / nachhaltige Prozesse, Methoden, Modelle und deren Aneignung
  • KI-gestützte Werkzeuge
  • Herausforderungen für HCI-Forschenden im Bereich der Barrierefreiheit

Literatur

[1] Renaldo Bernard, Carla Sabariego, and Alarcos Cieza. 2016. Barriers and Facilitation Measures Related to People With Mental Disorders When Using the Web: A Systematic Review. Journal of Medical Internet Research 18, 6 (June 2016), e157.
https://doi.org/10.2196/jmir.5442

[2] Cheuk Yin Phipson Lee, Zhuohao Zhang, Jaylin Herskovitz, JooYoung Seo, and Anhong Guo. 2022. CollabAlly: Accessible Collaboration Awareness in Document Editing. In Proceedings of the 2022 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI ’22). Association for Computing Machinery, New York, NY, USA, 1–17.
https://doi.org/10.1145/3491102.3517635

[3] Giulio Mori, Maria Claudia Buzzi, Marina Buzzi, Barbara Leporini, and Victor MR Penichet. 2011. Collaborative editing for all: the google docs example. In Universal Access in Human-Computer Interaction. Applications and Services (Lecture Notes in Computer Science), Constantine Stephanidis (Ed.). Springer, Berlin, Heidelberg, 165–174. https://doi.org/10.1007/978-3-642-21657-2_18

[4] Claudia Müller. 2018. Introduction to the Thematic Focus ‘Socio-Informatics’. Media in Action 2, 1 (2018), 9–16.

[5] Corinna Ogonowski, Timo Jakobi, Claudia Müller, and Jan Hess. 2018. PRAXLABS: A Sustainable Framework for User-Centered Information and Communication Technology Development – Cultivating Research Experiences from Living Labs in the Home.

Oxford University Press. https://pub.h-brs.de/frontdoor/index/index/docId/3568

Pages: 319-360 Publication Title: Wulf, Pipek et al. (Eds.): Socio-Informatics: A Practice-Based Perspective on the Design and Use of IT Artifacts.

[6] John G. Schoeberlein and Yuanqiong Wang. 2012. Accessible collaborative writing for persons who are blind: a usability study. In Proceedings of the 14th international ACM SIGACCESS conference on Computers and accessibility (ASSETS ’12). Association for Computing Machinery, New York, NY, USA, 267–268.

https://doi.org/10.1145/2384916.2384986   

[7] United Nations, Committee on the Rights of Persons with Disabilities. 2023. Concluding observations on the combined second and third periodic reports of Germany.

https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CRPD%2FC%2FDEU%2FCO%2F2-3&Lang=en UN Doc. CRPD/C/DEU/CO/2-3.